Der dreihundertste Geburtstag Giacomo Casanovas im April dieses Jahres will den Blick auf eine in ihrer Art einzigartige Epochengestalt lenken – in Gegenüberstellung mit der fiktiven Gestalt von Don Juan, mit der er immer wieder auf einen Nenner gebracht wird, ja dessen Züge vielfach auf ihn projiziert worden sind – wie nicht selten umgekehrt. Beide Charaktere – der erfundene wie der historische – sind bis heute die wichtigsten Verkörperungen eines Mythos des erotischen Helden. Diesen gilt es in der Vorlesungsreihe auf den Prüfstand zustellen.

Das Bild von Don Juan ist entscheidend durch Mozarts Oper geprägt worden, doch weniger durch diese selber als durch ihre Resonanzgeschichte im 19. Jahrhundert von E.T.A. Hoffmann bis Kierkegaard. Sie hat eine Sinnschicht über Mozarts Werk gelegt, welche mit diesem durchaus nicht übereinstimmt. Und Casanova stellt sich dem heutigen kritischen Betrachter (siehe die Monographien von Marita Liebermann und Lothar Müller, die beide mit Vorträgen in dieser Reihe vertreten sind) weniger als Frauenheld denn als epochaler Schriftsteller dar, dessen „Histoire de ma vie“ die Lebenstotalität der vorrevolutionären Epoche in ihren Widersprüchen und Umbrüchen widerspiegelt. Casanova war ein abenteuernder Zeitdiagnostiker, Projekteschmied und Literat, der mit den Mächtigen und Geistesgrößen seiner Zeit verkehrte, auf seinen weiträumigen Reisen die Welt des alten Europa erkundete und in seinen Memoiren dem Leser diese untergehende Welt in enzyklopädischer Fülle vor Augen stellt.

Die Heidelberger Vorträge zur Kulturtheorie zum Thema „Die großen Liebenden“ wird von der Manfred-Lautenschläger-Stiftung gefördert.